Ein Foto mit einer einsamen Krüppelkiefer, dahinter kilometerweit schneebedecktes Flachland. Der Text dazu heißt ”Kahlschlag am nordfinnischen Peurakairasee”.
Jeder, der auch nur ein bisschen in der Natur Lapplands unterwegs gewesen ist, sieht sofort, dass das Foto im Vordergrund keinen Kahlschlag, sondern ein offenes baumloses Moor zeigt. Hinter dem Moor liegt ein See, dessen gegenüberliegendes Ufer in der Ferne als schmales Band am Horizont auszumachen ist. Der Peurakairasee ist auf dem Foto allerdings nicht zu sehen, was auch gar nicht möglich wäre, weil es einen See dieses Namens weder auf der Landkarte noch in natura gibt. Um den finnischen Schriftsteller Erno Paasilinna zu zitieren: Ein Foto lügt mehr als tausend Worte – wenn der Wille da ist. Wenn es um die auf Deutschland orientierte Oberlappland-Propaganda von Greenpeace geht, ist dieser Wille zweifellos vorhanden.
Das Foto wurde im Zusammenhang mit einem ausführlichen Artikel in Nummer 6/2005 der Zeitschrift ”Greenpeace Magazin” veröffentlicht. Der Artikel ist mit ”Papier” überschrieben und handelt eigentlich von der Zunahme des Papierverbrauchs und der Bedeutung von Altpapier. Die aus finnischer Sicht interessante, Oberlappland tangierende Passage ist in der im Internet zu findenden Kurzfassung des Artikels zu lesen.
Die Propaganda von Greenpeace ist schon seit einigen Jahren Sami-politisch gefärbt. Auch diesmal kommt das wieder vordergründig zum Ausdruck. Die Journalistin Ritva Torikka-Gelencser aus Inari wird als Sami-Expertin aus der Region angeführt. Ihre Behauptung, dass die finnischen Holzkonzerne mit Zustimmung der Regierung die letzten Urwälder Europas kahl schlagen, wird in dem deutschsprachigen Artikel wie folgt wiedergegeben: ”Ritva Torikka-Gelencsér, die Sprecherin des Rates der Sami, ist entsetzt, wie skrupellos die finnischen Holzkonzerne in Eintracht mit der Regierung vorgehen: Sie rauben uns unser Land und schlagen die letzten Urwälder Europas kahl.”
Und genau so dick wird weiter aufgetragen: ”Mit jedem Baum, der im Norden Finnlands gefällt wird, schrumpft der Lebensraum der rund 7000 Sami, die bis heute traditionell von der Rentierzucht leben.”
Vergleichen wir doch die ”Angaben” der Greenpeace-Informantin mit den Tatsachen. Von den rund 7000 finnischen Sami leben ca. 4000 in der Heimatregion der Sami. Die Erwerbsstruktur hat sich in Oberlappland etwa im selben Tempo verändert wie in den anderen Regionen Finnlands auch: Weniger als10 % der Sami im arbeitsfähigen Alter sind derzeit Rentierzüchter. 1948 waren es 67,4 %, 1984 noch 33,4 %.
Auf Seite 83 des Erläuterungsteils zum Bericht des Samikomitees (OM 3.12.2001) heißt es zur aktuellen Situation der samischen Bevölkerung wie folgt: ”Wegen der geringen Produktivität der natürlichen Erwerbszweige und wegen des Mangels an ständigen Arbeitsplätzen basiert die Existenz der samischen Bevölkerung in zunehmendem Maße auf gelegentlichen Lohnarbeiten und auf der Einkommensumverteilung durch die Gesellschaft. Auch von den Sami lebt heute ein immer größerer Teil von der Einkommensumverteilung durch die Gesellschaft, beispielsweise von Arbeitslosenunterstützung und Renten. In Utsjoki waren das im Jahre 1999 ca. 29 %, in Inari und Enontekiö knapp 35 %.”
Ritva Torikka-Gelenczers Part endet mit einer scharfen Forderung: ”Greenpeace fordert daher, wenigstens die wertvollsten etwa 90.000 Hektar Urwälder in Lappland unter Schutz zu stellen. Gelingt dies nicht, würde der Verlust dieser Naturschätze nicht nur das indigene Volk der Sami in seiner Existenz gefährden, sondern auch mehr als 500 vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Sie alle fielen dem Papierhunger der Industriestaaten zum Opfer.”
Das Gerede davon, dass 500 Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind, beruht auf der falschen Annahme, dass die 90.000 Hektar Wald, für die Schutzmaßnahmen gefordert werden, buchstäblich aus den letzten Wildmarkwäldern Inaris bestehen. Dies ist jedoch in Wirklichkeit nicht der Fall, denn die ”ersten” Wildmarkwälder Inaris stehen schon seit langem unter Schutz. Das wird den Deutschen aber natürlich von Greenpeace verschwiegen.
Teilwahrheiten und Lügen waren von Anfang an kennzeichnend für die Oberlappland-Kampagne unter Leitung von Greenpeace. Zu meinem Erstaunen habe ich feststellen müssen, wie blauäugig-kritiklos in Finnland das Wirken von Greenpeace hingenommen wird, beispielsweise etwa von einigen Parlamentsabgeordneten des Grünen Bündnisses, die in der Öffentlichkeit Stellung zu der Sache genommen haben. Oder ist es etwa so, dass eine Umweltorganisation, ”die auf unserer Seite” beziehungsweise ”für eine gute Sache” ist, Lügen und fragwürdige Mittel einsetzen darf?
PS. Über den Artikel in der Zeitschrift ”Greenpeace Magazin” und/oder über den Fotobluff in dem Zusammenhang wurde am 31.10.2005 in Finnland mindestens an drei Stellen berichtet: in der Zeitung ”Lapin Kansa”, im Blog ”Outoa Taigaa” und im Diskussionsforum ”Suomi24”. Vom Blog und vom Forum aus gelangte man durch Anklicken des entsprechenden Links auf die Internetseiten des ”Greenpeace Magazins”. Der Zugriff war so intensiv, dass das für den Ruf der Organisation äußerst peinliche Foto noch im Laufe des Nachmittags von den Internetseiten der Zeitung verschwand.
11/2005
Auf Finnisch